TOMBAK (Lanzenspitze)

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Java
16./17. Jahrhundert

Gesamtlänge 663 mm
Breite (Basis) 68 mm
Stärke (Basis) 27 mm

Das hier vorgestellte Stück ist eine javanische Lanzenspitze tombak. Die Klinge hat elf Wellen, wobei die traditionelle Zählweise an der Basis auf der Innenseite der Spitze bzw. der der letzten Welle zugeneigten Seite in der ersten Konkave beginnt und wechselseitig alternierend nach vorne fortgeführt wird. Der Klingenhals geht in eine separate Auflage, die metuk über, die auf die runde peksi, die Angel, aufgesteckt und vermutlich im Schmiedefeuer angepasst wurde. Die metuk ist in umlaufende Zierwülste gegliedert. Sie entspricht in ihrer Form und Anlage den metuk, die von keris buda, der ältesten bekannten keris-Form, bekannt sind. Diese können als Vorläufer der in jüngerer Zeit üblichen mendak, den Stielringen aus Edelmetall, benannt werden. Das Ende der peksi ist gewendelt, um einen besseren Halt im Lanzenschaft zu gewährleisten.

Die Klingenbasis zeigt beidseitig die vom keris bekannte Doppelgrube sogokan. Diese erhebt sich über floral ausgestaltetem tiefem Eisenschnitt, der in seiner Konzeption als Lotusblüte erkennbar ist, wie er in der ostjavanischen Zeit wahrscheinlich aus dem Môn-/Khmer-Kulturgebiet adaptiert wurde. Die Lotusblüte nimmt als Gestaltungselement auf hindu-buddhistische Weltursprungsmythen Bezug und verkörpert primordiales Schöpfungsgeschehen, Reinheit und Perfektion.

Die Klinge, wilah, ist in pamor-Technik, d.h. mit bewusst angelegtem Schweissmuster geschmiedet, das in diesem Fall als beras wutah, „geschich-tete Reisblätter“, benannt werden kann. Technisch ist dies ungesteuerte Schichttechnik mit mäßiger Lagendichte. Der Kern wird durch eine eingeschweißte Stahllage, slorok, gebildet, die scharfe Schneiden und höhere Härte ermöglicht. Die Spitze ist geringfügig beschädigt und nachgeschliffen (alte Reparatur), was auf einen früher durchgeführten realen Einsatz schließen lässt.
Diese Lanzenspitze ist definitiv sehr alt und kann als historisch und stilistisch bedeutsam angesehen werden. Sie erlaubt einen direkten Vergleich mit keris aus den ältesten europäischen Sammlungen, wie sie z.B. im Völkerkundemuseum Dresden oder im Nationalmuseum Kopenhagen sowie in der Sammlungen Ambras (Wien) und Wrangel (Stockholm) erhalten sind. Diese Stücke können aufgrund ihres Eingangsdatums in die ursprünglichen Sammlungsbestände, denen sie entstammen, dem späten 16. Jahrhundert zugewiesen werden, sind mithin jedoch noch älter. Vor allem zwei keris in Kopenhagen und Dresden haben mit dieser Lanze weitgehend identische Form- und Schmiedemerkmale. Eine Fertigung nach dem früheren 18. Jahrhundert ist aufgrund der Charakteristika sehr unwahrscheinlich, wahrscheinlicher ist eine Entstehung im 17. Jahrhundert oder früher.

Die Lanzenspitze ist extrem mächtig und stark; die Blattstärke über der metuk beträgt deutlich über
2 cm. Die Klinge zeigt im vorderen Bereich deutliche Merkmale einer Härtung. Das beweist auch der Spitzen-Sprödbruch. Die Schneidekanten, gusen, waren explizit scharfgefeilt, wenn die Schärfe auch im Laufe der Jahrhunderte gelitten hat.

Dieser tombak kann als Repräsentationsstück oder Symbolwaffe im Umfeld der javanischen Fürstenhöfe interpretiert werden. Es ist möglich, dass diese Lanzenspitze für rituelle fürstliche Opferhandlungen, slametan, oder/und bei Prozessionen und Reinigungszeremonien verwendet wurde.

Nachweislich seit dem Reich von Demak (16. Jh.) und in Kartasura/Surakarta fand bis vor kurzem (2008) jährlich beim Maesa (Mahisa) Lawung-Festival die rituelle Tötung des Büffels Mahisa zu Ehren der Durga im ersten Monat des neuen Jahres statt. Die Zeremonie des königlichen slametan oder Rajawedha Maesa (Mahisa) lawung-Festivals im Keraton Surakarta soll auf das Jahr 387 nach saka–Zeitrechnung zurückgehen, als König Sitawaka parallel zum Dorf- Festival grama wedha höfische Opfer einführte. Diese Legende nimmt Bezug auf die Übernahme der dörflichen Opferfestivals im höfischen Bereich während der ostjavanischen Periode (12.–15. Jh.). Bei dem Festival von Surakarta wird das Blut des Büffels im heiligen Wald von Krendawahana geopfert, das Fleisch wird ohne Gewürze als Opfer, kalak, vom weiblichen abdi dalem (Hofangestellten) nyai tumenggung („höchste Frau“) zubereitet. Das Büffelhaupt wird abschließend im heiligen Wald zeremoniell begraben. Das kyai slamet kann als Reinigungszeremonie verstanden werden, da der Büffel (maesa) den Dämonen Mahísa verkörpert, der durch Durga besiegt und enthauptet wurde. Dem liegen spielen alt-austronesische Opferrituale für landwirtschaftliche Fruchtbarkeit zugrunde.

Einige Lanzen stellen höchste Hof-pusaka bzw. heilige Erbstücke (Titel: kanjeng kyai, kanjeng kyai agung) Javas dar. Lanzen wurden früher auch als potente Kampf- und Tötungswaffen als magisch besonders „aufgeladen“ (panas, „heiß“) erachtet. Besonders bekannt ist in diesem Zusammenhang die Erzählung des Arya Penangsang, des Herrschers von Jipang im 16. Jahrhundert, und dessen Krieg mit Sutawijaya von Pajang, der später die Mataram II-Dynastie begründen sollte. Im Kampf verwundete Sutawijaya den Arya Penangsang mit seiner Lanze kyai plered, die bis heute eine der höchsten pusaka der javanischen Fürstenhöfe darstellt, derart schwer, dass dessen Eingeweide hervorquollen. Penangsang, der als aufbrausender und hitzköpfiger Kämpfer bekannt war, hängte sein Gedärm über den Griff seines berühmten keris Setan Kober („Grabesdämon“), welcher von Bayu Aji von Pajajaran geschmiedet wurde, und brachte Penangsang Sutawijaya trotz der tödlichen Wunde noch zu Fall. Als er, um Sutawijaya den Todesstoß zu versetzen, seinen keris Setan Kober ziehen wollte, zerschnitt er sich die eigenen Eingeweide, was seinen Tod zur Folge hatte. Von dieser Geschichte rührt angeblich die Sitte her, sich Blumengirlanden bei feierlichen Anlässen über den Griff (deder) des keris zu hängen.

Wie in vielen Teilen der alten Welt war es früher nicht unüblich, dass gewaltsame Konflikte durch pendekar, Vorkämpfer bzw. Heerführer, ausgefochten wurden, was den beteiligten Parteien Verluste ersparte und emotional einen ähnlichen Effekt – jedoch mit wesentlich weniger Blutvergießen – zur Folge hatte. Es gibt zahlreiche Geschichten von keris und Lanzen dieser Helden, die in der Bevölkerung bis heute weithin bekannt sind und nicht nur die Bedeutung heiliger Erbstücke auf Java bezeugen, sondern auch deren realen Gebrauch als Waffe in früheren Epochen. Ähnlich berühmt wie die Lanze Kyai Plered oder der keris Setan Kober sind der keris des malaiischen Nationalhelden und Admirals Hang Tuah von Malakka, Taming Sari, der von einem berühmten Kämpfer aus Majapahit (15. Jh.) stammte, und der bis heute zu den Regalia von Perak gehört, oder der heute im Nationalmuseum Pusat in Jakarta aufbewahrte Staats-keris von Jambi, Si Gindjai aus Mataram (16. Jh.).

Es kann nicht bewiesen werden, dass diese Lanze bei den höfischen Opferritualen in Zentraljava oder als Waffe eines pendekar verwendet wurde, aber das Lotus-Motiv an der Basis und die Mächtigkeit verweisen in jedem Fall auf ihre besondere Bedeutung, während die Härtungs- und Gebrauchsspuren auf konkreten Gebrauch schließen lassen. Um eine Kampfwaffe handelte es sich dabei sicher nicht. In jedem Falle ist dies ein hochrangiger tombak von kulturhistorischer Aussagekraft und hohem Alter.

Referenzen:
Keris Untuk Dunia (2010)
Junus, T (2012)
Haryoguritno H. (2005)
Weihrauch, A. (2001/02)
Hardjonagoro, K.R.T. (1979)
Harsrinuksmo, B./Luminto, S. (1988)
Text: Dr. Achim Weihrauch
Fotografie: Günther Heckmann
© IFICAH

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