KERIS / KADUTAN
Bali/Madura, Sumenep
frühes 19. Jahrhundert
Länge (Klinge mit Griff) 523 mm
Breite (Wurzel) 100mm
Stärke (Wurzel) 17 mm
Das hier vorgestellte Objekt ist ein keris. Die Klinge ist balinesischer Herkunft und dem 18. oder 19. Jahrhundert zuzuordnen. Sie ist gerade (lurus) und hat auf der ganja, dem fließend in die verbreiterte Klingenschulter übergehenden Querstück, welches für den keris typisch ist, und auf der gandik, der kurzen verdickten Fehlschärfe, Goldauflagen in Flachgold (kinatah emas). Die Motive sind Lotusblätter in Bezugnahme auf hinduistische Ursprungsmythen. An der verdickten bungkul (Klingenwurzel) ist ein gunungan (Berg-)Motiv erhalten, als Reminiszenz an Mahaméru, den heiligen Berg Shivas.
Die Auflagen sind leicht berieben. Sie entsprechen in der Auflagetechnik dem Stil Javas im 16. Jahrhundert und früher (wie z.B. erkennbar an dem keris im Deutschen Orden, Nationalmuseum Wien, 16. Jh.). In der Mararam II-Ära (Ende 16. Jh.) wurden dickere, plastischere Goldauflagen an keris für den hohen Adel üblich. Die Technik des Aufbringens entspricht dem indischen koftgari, d.h. auf eine aufgeraute Unterlage aufgeriebenes Gold. Auf der ganja ist ein candra sengkala, eine Darstellung zweier Fabelwesen in frontaler Anordnung, erkennbar. Diese wurde teilweise als Datierung gedeutet, wahrscheinlicher ist aber eine militärische Bedeutung, in Bezugnahme auf den Rang des Trägers als khsatrya (Krieger bzw. Adliger). Die Goldauflage auf der ganja ist sehr fein nachziseliert.
Die Form der Klinge mit greneng und jenggot (Zähnen, Bart) wird basopati (Götterpfeil) oder surapati robyong („ungestümer Herrscher“) genannt. Die Klingenflanken sind glatt poliert, mit warangan (Schwefelarsenik) patiniert und haben einen scharfen Mittelgrat ada-ada. Die Klinge hat keine gusen (abgesetzte Schneid-Fasen), sondern einen rhombischen Querschnitt. Der pamor (Schweissmuster) ist beras wutah (einfache Schichten, pamor mlumah) in geringer Lagenzahl, aber von hoher Material- und Verarbeitungsqualität. Die Oberfläche ist sehr gut erhalten und typisch für Bali-keris (kadutan). Glatte Oberflächen waren auch die Regel an alten javanischen keris.
Der keris ist als maduresischer keris montiert. Der Griff ist aus Elfenbein (gading). Er ist wahrscheinlich dem Reich Sumenep (18./19. Jh.) zuzuordnen, das wegen Kollaboration mit der VOC nach dem ersten Java-Krieg (spätes 18. Jh.) stark an Einfluss gewann. Das spiegelt sich deutlich in den europäisch bestimmten Zierformen des Griffes wieder, die europäische Heraldik aufnehmen. Die Griffform heißt donoriko. Sie ist durch ein eingerolltes, farnspross-artiges Ende gekennzeichnet. Im Rückenbereich des Griffs ist eine großflächige Blüte zu erkennen, auf der Frontseite die Lotusblüte, welche auf hinduistische Ursprungsmythen Bezug nimmt. An elaborierten jüngeren Griffen ist meist europäische Heraldik (Pegasus, Drachen, Uniformbestandteile etc.) vorherrschend, an diesem Beispiel sind noch eher indojavanische Sinngehalte bestimmend. Der obere, gebogene Teil des Griffs zeigt eine Zierform mit ährenartigem Aufbau, die Unterseite ist durchbrochen geschnitzt. Insgesamt reminisziert der Griff eine anthropomorphe, dämonische Figur in meditativer Pose oder tantrischer Ekstase mit geneigtem Haupt, was auch der ursprüngliche Sinngehalt ist. Dieser ist aufgrund islamischer Maßgaben (Sumenep ist orthodox islamisch) jedoch ab dem 17. Jahrhundert zunehmend in abstrahierter Form umgesetzt (im Gegensatz zum hinduistischen Bali, wo im Rahmen des „Bali-Barock“ die Dämonenfiguren nach dem 16. Jahrhundert offenbar immer üppiger und größer wurden).
Am Übergang zur Klinge sitzt eine javanische mendak mit Granulierung. Der gerundete Grifffuß wird durch eine angepasste durchbrochene Fassung (selut) aus Gelbmetall eingefasst, die die Funktion einer Griffzwinge einnimmt und sehr präzise angepasst ist.
Die Scheide hat die Form daunan ladrang Madura. Sie dürfte, wie der Griff, dem Reich Sumenep zuzuweisen sein. Es ist eine hervorragende Arbeit, die ganz aus einem Stück ausgesucht gemaserten trembalo-Holzes herausgearbeitet ist (einteilige Scheide: gandar iras), was besonders bei ladrangan (Scheiden mit ausladendem Scheidenblatt) naturgemäß mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Trembalo (lat. Djsoxylum acutagulum) ist das Holz der Wahl für hochwertige Madura-Scheiden. Der Fuß des Scheidenmundstücks ist beidseitig in floral-ornamentalen Flachrelief beschnitzt. Die Scheidenform, die noch keine so ausladende, fragile Form hat wie Scheiden aus dem späten 19. und 20 Jahrhundert, kann als beispielhaft für eine maduresische ladrang des älteren Typs angesehen werden. Der Erhaltungsgrad ist bemerkenswert.
Dieser keris ist repräsentativ für eine spezifische Epoche Zentralindonesiens, als balinesische und maduresische Söldner massiv beteiligt waren an den Interessenskonflikten der Chinesen, Javaner und der VOC in Zentralindonesien bzw. „Niederländisch-Indien“, die bis heute nachwirken. Er dürfte mit einiger Sicherheit im späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert entstanden sein. Die Klinge verkörpert für balinesische kadutan / keris einen hohen Standard.
Referenzen:
Haryoguritno (2005)
Keris Indonesia (2011)
SNKI (2010)
Keris untuk Dunia (2010)
Jasper/Pirngadie (1930)
Text: Dr. Achim Weihrauch
Fotografie: Günther Heckmann
© IFICAH