KERIS
Java
17. Jahrhundert oder früher
Länge (Klinge mit Griff) 463 mm
Breite (Basis) 84 mm
Stärke (Basis) 14 mm
Das hier vorgestellte Objekt ist ein keris (Kris). Herkunftsregion ist Zentral- oder Ostjava. Das Stück ist von hohem Alter und bemerkenswertem Erhaltungsgrad. Kerise mit ähnlichen Charakteristika und von aufgrund des Sammlungs-Eingangs nachgewiesenermaßen hohem Alter sind in einigen europäischen Altbeständen bekannt. Selbstverständlich gibt es auch im Ursprungsland Java (oder gerade dort) eine größere Zahl von kerisen hohen Alters; die tangguh-Zuweisungen (traditionelle Alters- und Herkunftszuweisung) einzelner kerise reichen bis in die Reiche Jenggala und Kediri (11., 12. Jh.) zurück. Über die Jahrhunderte wurden allerdings wegen des feuchten Klimas und damit einhergehender Korrosion und nachfolgender Restaurierung, wegen rituellen „Waschens“ und Nachätzens mit warangan (Limettensaft mit Schwefelarsen) und im Rahmen der Überarbeitung grundsätzlicher Elemente wegen persönlicher Präferenzen der wechselnden Besitzer die Formen und Merkmale der ricikan (Gestaltungsmerkmale an der sorsoran, der Klingenbasis) oft verändert und überarbeitet, so dass stilistische Zuweisungen und Datierungen sehr alter kerise auf unsicherem Boden stehen. Die fast völlige Absenz von Signaturen und Dokumenten erschwert die Lage zusätzlich.
Zu nennen als guterhaltene Referenzbeispiele für das hier gezeigte Stück aus europäischen Altbeständen sind kerise in der Ashmolean-Sammlung in Oxford (vor 1630), in der ehem. Chevalier Sammlung im VKM München und kerise aus Skokloster (ehem. Wrangel-Sammlung, Stockholm, vor 1620), sowie der Herport-keris im Bernischen Historischen Museum (eingegangen ca. 1620). Diese kerise dürften zum Zeitpunkt des Erwerbs zudem teilweise schon einige Jahrzehnte alt gewesen sein. Sehr ähnliche Merkmale wie das hier vorgestellte Stück hat ferner ein keris im Besitz des Museums der Kulturen Basel; ehem. Slg. Beromünster), sowie einige Stücke des VKM Dresden (ehem. kurfürstl. Slg., vor 1600 – bis 1720). Alle diese kerise zeigen sehr ähnliche Merkmale wie das hier besprochene Stück und erlauben eine Datierung desselben in das 17. Jahrhundert oder sogar früher.
Die Klinge ist von klassischer Schönheit. Sie hat neun Wellen (luk), die von der ersten Einbuchtung oberhalb der gandik (verdickte Fehlschärfe) abwechselnd gezählt werden. Die Klinge hat im Blatt linsenförmigen Querschnitt, d.h. keine Klingengruben kruwingan, und auch keine sogokan (paarige Zierguben an der Basis). Sie ist in pamor-Lagentechnik geschmiedet. Das Muster kann als beras wutah (technisch gesehen ungesteuertes Schichtlaminat) mittlerer Lagenzahl benannt werden. Das Muster ist auffallend fehlerfrei geschweißt und makellos im Schichtbild. Der Kern wird durch eine präzise freigestellte Stahllage, slorok, gebildet. Diese ist von gleichbleibender Breite und perfekter, den Wellen folgender Linienführung, was auf sorgfältiges Nachkorrigieren durch den Schmied schließen lässt.
Auf der ausladenden Seite der Klingenbasis (buntut) sind greneng (Zähnchen) ausgearbeitet, deren Form und relativ große Dicke sehr typisch für diese alten kerise ist. Die ganja ist sehr gut erhalten. Oft ist diese bei weniger gut erhaltenen alten Klingen ausgetauscht, wie es u.a. in Rahmen von Rangauszeichnungen bei Hofbeamten in der Ära nach Sultan Agung (Kusumo Wikrodo) und Amangkurat (Mataram II, nach 1630) üblich wurde. Die kürzere, weniger ausladende Seite zeigt den sekar kajang, jalèn und lambé gajah, den „Rüssel“ und Elemente des Elefantengesichts als Kraftsymbol, sowie die pejetan (Daumengrube), die die gandik, die typische kurze verdickte Fehlschärfe des keris, von der starken bungkul, der Klingenbasis, abhebt. Das sirah cecak, der „eidechsenkopf-artige“ (cecak) Sockel an der gandik, zeigt feine Zierrillen. Das jenggot (Bart) auf dem Elefantenrüssel ist klein und nur angedeutet, was ebenfalls typisch für Klingen dieser Art ist. Die luk (Wellen) sind von flacher bis gemäßigter (regol) Amplitude. Die relativ glatte Oberfläche der Klinge ist ebenfalls gut erhalten und ein Kennzeichen gepflegter alter Klingen; in Bali-kerisen (kadutan), die die alte javanische Schule fortführen, ist dieser Aspekt besonders betont.
Die Klinge ist im Bereich des sorsoran, des griffnahen Drittels, in flachem Eisenschnitt floral – ornamental dekoriert. Der Eisenschnitt ist flächendeckend mit Gold in relativ flacher, koftgari-ähnlicher Auflagetechnik belegt. Diese Dekor-Technik für Klingen, die wohl in der ostjavanischen Periode aus Indien übernommen wurde, wurde in der Ära des beginnenden Mataram II (frühes 17. Jh.) durch plastischere Auflagetechniken und ein erweitertes Motivspektrum (nagasasra, singa barong etc.) ersetzt. Sehr alte kerise zeigen teilweise Ming-chinesische Dekorformen in sehr flacher Auflage. Das hier vorgestellte Stück stellt eine Zwischenform dar. Stilisierte Lotusblüten, die in chinesischer Prägung gestaltet sind, sind als Symbol der indo-javanischen Schöpfungsgeschichte und Kosmologie (Welterschaffung, Bezugnahme auf Wishnu, den Welt-Erhalter, und als Hinweis auf den Herrscher als Repräsentanten von Gottheiten des Hindu-Pantheons) das Zentralmotiv dieser Klinge. Dazwischen eingearbeitet erkennt man stilisierte Reisähren, Hibiskus-Ranken als aristokratisches Symbol und gunungan, Bergmotive, in chinesischer Ausprägung. Wohl in Bezugnahme auf die Weltachsensymbolik (der Herrschertitel von Surakarta, Paku Buwono, bedeutet z. B. „Achsnagel der Welt“) reicht die Goldauflage im Zentralbereich weiter in die Klinge hinein. Die Kernaussage darf insgesamt als eine idealisierte, unter der heilbringenden Einwirkung des Herrschers erblühende javanische Landschaft in symbolistisch verdichteter Anordnung als Bestätigung der Rechtmäßigkeit der bestehenden Ordnung verstanden werden. Die Goldauflage setzt sich auch auf der ganja fort.
Der Griff ist vom Typ her nordjavanisch. Er besteht aus steinhartem kèmuning-Holz von ausgesuchter Qualität. Der Griff stellt eine floral aufgelöste hockende Figur dar. Diese Art Griffigur verkörpert (neben der verhüllten Durga, Shivas Gemahlin) die ursprüngliche keris-Griffsymbolik. Die gesamte Oberfläche ist in abstrahierte Lotus-Blüten aufgelöst, wobei im Bereich des Gesichts das bindulu, das zentrale apotropäische Auge, erkennbar ist, das darstellerisch untrennbar mit dem umgebenden Lotus verbunden ist. Die Figur hockt auf einem tumpal-Sockel, einem in Dreiecke aufgeteilten Lotussockel, der im Zentrum das Yoni-Motiv zeigt. Die Grifffigur ist vom putra satu –Typ. Dies sind anthropomorphe, ornamental aufgelöste Griffe, deren Grundhaltung einen Hinweis auf Ekstase und entrückte Daseinszustände beinhaltet. Der Hintergrund, der diesen Griffen zugrunde liegt, ist – wie bei jawa demam-Griffen („fiebernder Javaner“) und anderen abstrahierten figuralen Griffen – im expressiven Tantrismus zu suchen, der seinen Ursprung in den Shiva-Kulten des ausgehenden 13. Jahrhunderts hat. In dieser Epoche schwang Kertanagara von Singgasari, eine der schillerndsten Herrschergestalten der südostasiatischen Geschichte, sich als Reaktion auf die sino-mongolische Bedrohung zu einer Emanation Shivas im Rahmen tantrischer Zauberriten auf. Die weniger abstrahierten Griffiguren, die dem Aufbau dieses Griffes zugrunde liegen und die sich regelhaft an den kerisen der ältesten europäischen Sammlungen finden, sind meist nackt und phallisch, was im Zusammenhang mit dem yoni-Motiv an der Basis auf eine tantrisch-bhairavistische (shivaitische) Symbolik schließen lässt.
Die völlige ornamentale Auflösung der Figur scheint sich im nordjavanischen Bereich im Zuge der islamischen Einflussnahme mit ihrer Forderung nach Monotheismus und Abstraktion etabliert zu haben und dürfte eine Entwicklung des 16. Jahrhunderts sein. Der Grundtyp dieser Figur hat eine Unzahl von Ableitungen hervorgebracht, die sich über Sumatra, Südsulawesi, Malaysia bis nach Thailand / Patani (keris tajong) erstrecken. Die „Garuda“-Griffe mit dem vermeintlichen Schnabel gehören ebenfalls dazu; die Merkmale (Starrende Augen, ausgeprägte Nase, lange Mähne, Mund mit Reißzähnen etc.) sind lediglich überbetonte dämonische Gesichter. Das Ur-Motiv des java demam-Griffes dürfte Dämonen in der Gefolgschaft Shivas verkörpern, mit denen sich in der Majapahit-Zeit die Fürsten in Nachahmung der Herrscher seit Kertanagara identifizierten. Erwähnenswert ist in diesem Kontext, dass die Palastgarde in der Majapahit Zeit „bayankaris“ genannt wurde, „die Schrecklichen“, woher eventuell auch die Bedeutung des Wortes keris herrührt, welcher erst seit der Majapahit-Zeit nachweislich Verbreitung erlangt hat. Das yoni-Motiv im Zentrum, auf dem die Figur hockt, mag als kala-oder bintulu fast unkenntlich sein, bewahrt aber in Verbindung mit der in dieser Konstellation stets deutlich männlichen, nackten Grifffigur dennoch eine tantrisch-sexuelle Komponente. Die mendak ist eine vergoldete Buntmetall-Kappe mit Randgranulierung in einfacher, qualitätsvoller Ausführung.
Ein besonderer „Leckerbissen“ ist die erhaltene Scheide aus einem leichten, unbestimmten Holz. Scheiden dieser Art sind stets iras, d.h. aus einem Stück herausgearbeitet (!), haben relativ flache lata (Scheidenblätter) und gandar (Klingenscheiden) und nehmen die spätere ladrangan (formelle Scheide) vorweg. Man erkennt, dass die balinesische Scheidenform (sesrengatan, jamprahan) der ladrangan in ihnen fortlebt. Scheiden dieser Art sind schon an Candi Sukuh und an Bhima/Kertolo-Figuren im 15. Jahrhundert in aller Deutlichkeit dargestellt. In Nordjava / Cirebon hat sich dieser Stil lange gehalten. Oftmals sind sie bemalt, in aller Regel mit vegetabilen Szenarien im landwirtschaftlichen Kontext. Diese symbolisieren Wald-, Berg- und Reisfeld-Motive alas-alasan, was sich primär auf die Fruchtbarkeit des Landes bezieht, aber auch eine andere Komponente, nämlich die des Urwaldes und der Anderswelt (Geisterwelt, Ahnensphäre), anklingen lässt. Ferner finden sich explizit männliche Fabelwesen dargestellt, die herrscherliche Macht und Stärke sowie männliche Potenz verkörpern.
Die besten erhaltenen Beispiele dieser Art sind der keris von Sendai (wohl vor 1590), der keris in der Kunstkammer Prag (heute VKM Wien, vor 1600) und eine Scheide der Wrangel-Sammlung (alle bei Weihrauch, 2001 / 2002, vorgestellt und beschrieben). Sie haben allesamt die Form des hier vorgestellten Beispiels. Die ruhige, souveräne Eleganz dieser Art von Scheiden, dezent betont durch den feinen Kerbschnitt am Ansatz der Mundstücke, ist nie mehr übertroffen worden. Die ausladenden Scheidenblätter jüngerer keris-Montagen mit ihren ausgeprägten Schwung, der exquisiten Holzmaserung und dem Verzicht auf expressive Symbolik sind eine Entwicklung der Folgezeit der Amangkurat-Ära und den auf Repräsentation bedachten keraton (Palästen) von Surakarta und Yogyakarta zuzuweisen.
Referenzen:
Jenssen, K.S. (1998)
Jessup, H.I. (1995)
Weihrauch, A. (2001/02)
Drescher, D. / Weihrauch, A. (1999)
(in Leigh-Theisen 1999)
Eggebrecht, A. (1995)
Text: Dr. Achim Weihrauch
Fotografie: Günther Heckmann
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