PISO HALASAN / PISO GADING
Karo Batak, Nord Sumatra
19. Jahrhundert
Länge (Klinge mit Griff) 525 mm
Breite 28 mm
Stärke 10 mm
Das hier vorgestellte Objekt ist ein piso halasan oder kalasan. Der Terminus piso bedeutet Messer (pisau = indones. Messer) und wird mit einem präzisierenden Zusatzterminus verwendet. Diese spezifische Objektform wird teilweise auch als piso engkat bezeichnet. Die Bezeichnungen werden allerdings teilweise inkonsequent verwendet; piso gading heißt z.B. „Messer mit Elfenbeingriff“, während piso ni datu „Messer des Priesters“ bedeutet. D.h., die Terminologie kann sich auf die Funktion, die verwendeten Materialien oder auf die Form beziehen.
Piso dieser Art können mit einiger Sicherheit den Karo-Batak zugewiesen werden. Die Karo-Batak leben in der Nord-Tapanuli-Region nördlich des Toba-Sees in den Bergregionen von Kabanjahe und Berastagi. Karo konstituiert eine eigene Sprachgruppe, die jedoch nahe verwandt ist mit den übrigen fünf Batak-Sprachen. Batak ist ein ursprünglich von arabischen Händlern für die Inlandbewohner Nordsumatras geprägter ethnogenetischer Begriff. Er bedeutet wörtlich „Schweinefleisch-Esser“ und wurde von Marco Polo Ende des 13. Jahrhunderts als „Batta“ oder Battaer“ übernommen. Die Batak, die sich in mehrere Gruppen unterteilen (deren die Toba-Batak die Bekannteste und Größte ist) können auf mehrere Einwanderungsschübe aus den Bergregionen Thailand und Myanmars zurückgeführt werden. Ihre Kultur weist signifikante Übereinstimmungen mit südchinesischen bronzezeitlichen Kulturen (Yunnan; Dian) auf. In den Wirren der späteren Han-Zeit, vielleicht auch schon früher, scheinen aus diesen Gebieten zahlreiche Migrationen mit entsprechendem Kulturimport nach Südostasien erfolgt zu sein.
Das kulturelle Programm, das die Auswanderer mitbrachten, schloss elaborierte Metallverarbeitungstechniken, komplexen Hausbau mit symbolischer Drei-Ebenen-Konstruktion (Welteinteilung in Ober-, Mittel- und Unterwelt), ausgeprägte Hierarchie mit landwirtschaftlichen zyklischen Opferkulten, Ahnenkult und anderes mehr ein. Diese Kulturebene wird aufgrund der sprachlichen Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Kulturen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, als austronesisch bezeichnet. Sie überlagerte teilweise die bereits vorhandenen melanesiden/australiden Kultursubstrate bzw. vermengte sich mit diesen.
Die Batak-Religion und Kosmologie ist eine komplexe synkretistische Variante indischen und altjavanischen Hinduismus und Buddhismus sowie Animismus (in diesem Sinne: Beseeltheits-Vorstellungen aller Erscheinungsformen). Diese Vorstellungen gehen einher mit Schamanismus und Anwendung beseelender und beseelter Medizin. In jüngerer und jüngster Zeit (gemessen an ihrer jahrtausendealten Geschichte) sind die Batak teilweise zumindest oberflächlich christianisiert oder islamisiert, nachdem sie im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung aufgrund internationaler Handelsbeziehungen vermehrt indische Kulturimporte übernommen haben.
Es ist an dieser Stelle unmöglich, eine ausführliche Ethnografie der Geschichte und Kultur der Batak zu liefern. Eine Publikation ist in Arbeit, in deren Rahmen die sozialen und kulturellen Hintergründe der Batak-Klingentradition vor dem Hintergrund der Kosmologie und Wirtschaftsformen beleuchtet werden. An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass die Hauptgruppen der Batak (die zusammen mehr als 6 Mio. Menschen zählen und die einen Großteil der nord-sumatranischen Bevölkerung stellen) Formen von Klingenobjekten entwickelt haben, die sich den einzelnen Gruppen zuordnen lassen und die die komplexen kosmologischen Vorstellungen und Kunsttraditionen der Hersteller und Träger in sehr expliziter Weise veranschaulichen.
Das piso halasan ist Symbol der raja, der Dorfvorsteher. Der Begriff kalasan scheint auf glückbringende Aspekte dieses Objekts hinzudeuten, kalasan wurde teilweise als „sword of happyness“ übersetzt. Das Schwert soll in diesem Sinne die positiven Auswirkungen eines fähigen raja verkörpern. Bei den Toba besteht der Griff des halasan in der Regel aus Hirschgeweih-Sprossen, das besondere Kräfte beinhaltet. Mit Elfenbeingriffen versehene Exemplare (wie dieses) sind der Karo-Elite vorbehalten. Typisch für Karo-Arbeiten wie das hier vorgestellte Beispiel ist die Verwendung von Silber und suasa, einer Silber-Kupfer-Legierung. Weniger häufig ist der Einsatz von Gelbguss wie z.B. bei den Toba, bei denen teilweise ganze Montage-Ensembles aus Gelbmetall in verlorener Form gegossen sind.
Da erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Europäer ins Batak-Gebiet gelangt sind und Schwerter und Messer im Kampf von untergeordneter Bedeutung waren (die Batak waren bis Anfang des 20. Jahrhundert unabhängig und standen nur sehr kurz unter dem Einfluss der holländischen Kolonialherrschaft), gibt es kaum Angaben zu ihrer Schmiedetradition und auch keine Referenzstücke, die sicher viel früher datiert werden könnten. Die Batak verwenden im Kampf seit Jahrhunderten primär Gewehre sowie Lanzen, Schleudern und Bogen. Wenn überhaupt als Waffe verwendet, sind piso Sekundär-Stichwaffen, deren Klingen manchen Angaben zufolge vor einem Kampf vergiftet wurden (was fragwürdig scheint). Sie waren vor allem Geschenk zwischen marga, Clanhälften, bei Hochzeiten oder Festlichkeiten, Prestige- und Symbolgegenstand und Tauschgegenstand (noch heute heißen traditionelle Geschenkeinheiten piso, auch wenn es sich um Geld handelt). Es waren hochgeschätzte Wertgegenstände, die die Vorfahren und lineages, Clanhälften, verkörperten, zwischen denen die Erbfolge und Fortsetzung der Ahnenreihe durch Heiraten gesichert wurde. Diese gesellschaftlichen Modelle und die zugrundeliegenden Mythen werden in unterschiedlicher Weise durch die piso-Montage ins Bild gesetzt.
Die Klinge ist einschneidig, schlank und hat einen starken Rücken und keilförmigen Querschnitt. An der schmalsten Stelle, einige Zentimeter vor den Klingenhals, findet sich ein kleiner Vorsprung, der als Andeutung eines männlichen Geschlechtsteils interpretiert werden kann, folgt man Angaben zu ähnlichen Elementen am nyabor (Schwert) der Iban-Dayak. Der Rücken ist gerade, die im Rücken liegende Spitze ist langgezogen und die Schneide S-förmig geschweift. Das Metall zeigt Raffinierstuktur und ist dunkel patiniert, was im malaiischen Raum erfolgt sein wird (Batak-Klingen sind originär blankgeschliffen). Pamor und gezielt herbeigeführte Schweißstrukturen (pamor, „pattern-welding“) wie auf Java, Aceh und Südsumatra, Malaysia und Sulawesi gibt es bei den Batak nicht, nur technisch ausgelegte Laminate und Verarbeitungsmerkmale (Selektivhärtung, Laminate mit harter Schneidlage etc.).
Die verbreiterte Klingenwurzel mündet in einen abrupt abgesetzten starken Hals, der in die Griffangel führt. Darüber erhebt sich eine doppelt konische Zwinge aus Gelbguss, die mit aufgelöteten Applikationen aus feingeflochtenem Drahtgeflecht und S-Doppelspiralen versehen ist. Doppelspiralen sind einer Motivgruppe zuzuordnen, deren Ursprünge in den Bronzezeitkulturen Festlands-Südostasiens liegen (Ban Chiang, Dien, /Yunnan, Dong-S‘on). Die Doppelspirale ist ein essentielles Ziermotiv von primordialer Bedeutung innerhalb dieses Motivschatzes. Die Zwinge dürfte eine Toba-Arbeit sein, die „recycled“ wurde. Die Zwischenräume scheinen mit einer schwarzen harzartigen Masse gefüllt gewesen zu sein, die man als pupuk, magischer Substanz mit Seelenstoff, zur Beseelung des Objekts interpretieren kann. Diese Praxis ist verbürgt, bliebe allerdings in Einzelfall zu verifizieren.
Über der Zwinge bzw. dem Griff-Fuß als voluminösestem Teil des Griffs ist in typischer Batak-Manier eine Figurengruppe angeordnet, die in diesem Fall aus Elfenbein (gading) geschnitzt ist. Auf einer hockenden Figur, die das charakteristische Opferhuhn als Symbol eines pietätvollen Lebenswandels mit adat-gemässer Ehrung der Ahnen hält, kauert eine weitere, kleinere Figur mit Handhaltung in pietätvoller Pose (in dieser Kombination wahrscheinlich Ahn und Nachfahre). Die langen Haare beider Figuren werden durch Batak-typische, symmetrisch angeordnete Spiralmotive angedeutet, die auf altchinesische und innerasiatische Dekorformen zurückgehen. Die Batak können ihren Kunststil teilweise auf austronesische Kulturmigration vor der Zeitenwende zurückführen. Der ornamentale Stil führt sich bis auf die Zhou-Ornamentik zurück und ist teilweise dem Kunststil der Dayak auf Borneo oder timoresischer Kunst ähnlich, die ähnliche Wurzeln hat.
Das Scheidenmundstück ist ebenfalls aus Elfenbein. Es setzt die Griffgestaltung konsequent fort. Griff und Scheidenmund sind – wohl mit Betelsaft – braunrötlich gefärbt. Der Scheidenmund passt sich der Klingenschulter präzise an. Im Rücken zeigt er dieselben axialsymmetrischen Motive wie die „Frisuren“ der Grifffiguren. Seitlich sind jeweils zwei hockende männliche Figuren in Reihung, Hände um die Knie gelegt, dargestellt. Die Hockerhaltung kann als Andeutung der Geburts- (und Wiedergeburts-)Haltung interpretiert werden und ist ein verbreitetes mela- und polynesisches Konzept. Die Augen sind durch feine eingelassene Metallstifte betont. Eine fünfte, zentrale Figur auf der Vorderseite (Schneidenseite) ist weiblich und in stehender Haltung dargestellt. Sie zeigt eine aufgeworfene Frisur, die vielleicht auf die heute nicht mehr übliche Haartracht des Haarknotens verweist. Es kann sich um eine Kulturheroe oder Clan-Gründerin hohen Ranges handeln, oder aber die Stifterin des piso.
Die Scheide hat einen abgebogenen, an der Basis leicht in fließender Linie verbreiterten Fuß. Der Scheidenkörper ist aus schwarzem Holz hoher Härte (Palmholz) und ist mit unterschiedlich breiten Silberbändern überzogen. Das obere Viertel ist flächig mit Silber verkleidet. Zusätzliche Applikationen mit suasa-Bändern setzen die silberbelegten Bereiche, die zusätzlich mit feinen Silberflechtbändern und aufgelöteten Doppelspiralreihen versehen sind, elegant von dunklen Holz ab. Die Zierformen entsprechen denen des Griffs, was die Symbolik der piso-Einheit Klinge-Griff-Scheide betont.
Batak-Klingenobjekte verweisen sehr explizit auf die Bezüge Nord-Sumatras zu Festland-Südostasien sowie Indien und dürften von den historischen Hintergründen auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken, die weit ins erste Jahrtausend hineinreicht. Die nach hinten abgebogene Griffangel verweist auf den Ursprung dieser Form aus dem gezogen geführten Ernte- und Allzweckmesser pisau und auf die Klingentradition Thailands und Myanmars (Khmer-, Thai-Reiche). Die Form, Gestaltung und Balance erlauben keine effektive Verwendung als Hiebwaffe, jedoch ist die Eignung als Stichwaffe nicht in Frage zu stellen. Hauptfunktionen sind jedoch: Trachtbestandteil, Amulett, Repräsentation und Erbstück (pusaka). Als Gesamt-Ensemble stellt unser Stück einen Verweis auf die Bedeutung der Ahnenabfolge und Verwandtschaftsbeziehungen dar und dürfte als Hochzeitsgeschenk bzw. Geschenk zwischen hochrangigen Brauteltern fungiert haben. Ein „klassisches“ piso-Ensemble, das dem 19. Jahrhundert zuzuweisen ist.
Referenzen:
Westenberg, C.J. (1982)
Junghuhn, F. (1847)
Kipp, R.S. (1990)
Kozok, U., Ginting, J.R., Sibeth A. )1991)
Reid, A. (2001)
Text: Dr. Achim Weihrauch
Fotografie: Günther Heckmann
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